und verwandte Ansätze
Rechtsrealismus
Diskurstheorie des Rechts ("Theorie der juristischen Argumentation")
Recht als autopoietisches System
Im Aufbau...
Ein verbreitetes Vorurteil ist der Glaube, der Rhetorik ginge es vornehmlich um Affektmanipulation und ihre Vertreter wären Verächter von Logik und Rationalität. Der Rhetoriker Chaïm Perelman, gemeinsam mit Theodor Viehweg Initiator des Anfang der 50er Jahre des vergangenen Jahrhunderts eingeleiteten „rhetorical turns“ (Herbert W. Simons), beweist mit seinem Lebenswerk das Gegenteil.
Der Jurist Perelman beginnt seinen akademischen Werdegang mit einer Promotion über einen anderen prominenten Initiator, den Mathematiker Gottlob Frege, ein Wegbereiter der analytischen Philosophie und Gegner der – über 2000 Jahre dominierenden – aristotelischen Logik der Analytica Priora. Erschüttert über den drohenden Zusammenbruch der rationalistischen Utopien seiner Zeit, versucht Perelman in seiner noch jungen Karriere (allerdings erfolglos), den Unvollständigkeitsbeweis des Mathematikers und Logikers Kurt Gödel zu widerlegen. In seiner Abhandlung Über die Gerechtigkeit unterzieht er den Gleichheitssatz einer logischen Untersuchung. Aufmerksame Leser werden hier bereits die Anlagen erkennen, auf denen Perelmans berühmtestes Werk – die Nouvelle Rhetorique – errichtet wird.
In der Nouvelle Rhétorique, die er gemeinsam mit der Soziologin Lucie Olbrechts-Tyteca verfasst hat, vollzieht Perelman eine endgültige Wende: Er reaktualisiert die Topik und die Rhetorik des Aristoteles, also das Wissen aus eben jenen Schriften, die im Verlaufe des 18. Jahrhunderts aus dem akademischen Kanon verbannt worden waren. Die Topik hatte lange Zeit als unausgereifte Vorstufe der Analytica Priora gegolten, deren Vorherrschaft – wie gesagt – Perelmans „Mentor“ Frege eben erst gebrochen hatte. Neben der Analyse und Ordnung mannigfacher topischer Argumentationsformationen nutzt Perelman in der Nouvelle Rhétorique das von Aristoteles in der Rhetorik zur Verfügung gestellte Gerüst, um die Redefragmente aus philosophischen und literarischen Werken einer Wirkanalyse zu unterziehen. Aus der aristotelischen Dreiteilung „Redner – Rede – Auditorium“ und dem von Aristoteles zugelieferten Überzeugungsbegriff entwickelt Perelman, sicher unter dem Einfluss anderer prominenter Autoren, außerdem das berühmte Konzept des „universellen Auditoriums“.
Die Idee des „universellen Auditoriums“ übte in der Folgezeit einen kaum zu überschätzenden Einfluss
auf die für drei Jahrzehnte in der Philosophie und Rechtstheorie wohl tonangebenden Diskurstheoretiker aus, denen freilich nicht selten die Vorsicht Perelmans bei der Rezeption dieses Konzepts fehlte. Die für Perelman wichtige Betonung des Situativen wurde von
ihnen jedenfalls zugunsten einer universalistisch-ideellen Theorieausrichtung vernachlässigt.
jf